49. ordentliche Tagung des Menschenrechtsrates,

28. Februar - 1. April 2022

Punkt 4 - Interaktiver Dialog über den OHCHR-Bericht über die Menschenrechtslage in Belarus im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 und im Anschluss daran (HRC res. 46/20) 

17. März 2022



Von Sanzhar Aitkulov / GICJ

Übersetzt von Viktoria Kropp / GICJ

Zusammenfassung

Auf der 32. und 33. Sitzung der 49. Tagung des Menschenrechtsrates, die am 17. März stattfand, thematisierte die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Michelle Bachelet, die Menschenrechtslage in Belarus im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 und im Anschluss daran. Die Hohe Kommissarin wies auf die Menschenrechtsverletzungen hin, die seit den Präsidentschaftswahlen 2020 in Belarus begangen wurden, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Polizeigewalt und rechtswidrige Verurteilungen.  Andrej Taranda, der belarussische Vertreter bei den Vereinten Nationen, wies alle Vorwürfe zurück und bezeichnete den Bericht als "politisch voreingenommen". 

Der Bericht von Frau Bachelet über die aktuelle Menschenrechtslage in Belarus fand im Menschenrechtsrat breite Unterstützung, mit Ausnahme der Demokratischen Volksrepublik Korea, der Arabischen Republik Syrien, Venezuelas und der Russischen Föderation, die die Empfehlungen des Hochkommissariats als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates" betrachteten. Frau Bachelet forderte die Regierung von Belarus auf, zu Unrecht inhaftierte Bürgerrechtler freizulassen und ein günstiges Umfeld für die Förderung der grundlegenden Menschenrechte zu schaffen. 

Hintergrund

Der am längsten regierende Präsident Europas, Alexander Lukaschenko, steht seit 1994 an der Spitze des belarussischen Staates. Seine politische Laufbahn wurde von unabhängigen NGOs und Staaten wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen häufig kritisiert, und seine Wiederwahl im Jahr 2020 wurde von Massenprotesten im ganzen Land begleitet. Unabhängige Organisationen bezeichnen seine Präsidentschaft als Usurpation der Macht, was die Bürgerinnen und Bürger von Belarus dazu veranlasst, die Zentrale Wahlkommission der Fälschung der Wahlergebnisse zu beschuldigen. Die Proteste in Belarus begannen in der Nacht vom 9. zum 10. August 2020 im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse. Seit den ersten Tagen der Proteste berichteten Zeugen über den Einsatz exzessiver Gewalt zur Auflösung von Demonstrationen, während Inhaftierte, darunter Frauen und Jugendliche, über systematische Schläge in den Gefängnissen berichteten. Infolgedessen wurden im Jahr 2021 viele Demonstranten wegen ihrer Teilnahme an den Protesten strafrechtlich verurteilt. Staaten und Organisationen in aller Welt haben das Vorgehen der belarussischen Regierung und von Präsident Lukaschenko selbst verurteilt. Die Präsidentschaftswahlen 2020 wurden von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. 

Podiumsdiskussion

Eröffnungsstatements 

Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNCHR), stellte den Bericht über die Menschenrechtslage in Belarus im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 und in der Zeit danach vor (A/HRC/49/71). Sie erklärte, dass das Büro des UNCHR erhebliche Beweise für Menschenrechtsverletzungen gefunden habe, die zwischen dem 1. Mai 2020 und dem 31. Dezember 2021 begangen wurden. Alle Sicherheitskräfte des Landes, einschliesslich des Nationalen Sicherheitsrates, waren in den Konflikt in allen sechs Regionen von Belarus verwickelt. Sie stellte fest, dass Demonstranten von den Sicherheitskräften geschlagen wurden, bis sie das Bewusstsein verloren haben, und dass mindestens 3 Demonstranten während der Massenproteste starben.  Die belarussischen Behörden haben die Verantwortung für die Todesfälle bestritten. Frau Bachelet erklärte, dass zwischen Mai 2020 und Mai 2021 mindestens 37.000 Menschen willkürlich verhaftet und inhaftiert wurden. Darüber hinaus wurden allein zwischen dem 9. und 14. August etwa 13.500 Menschen verhaftet, darunter 700 Kinder.

Erklärungen der Länder

Der belarussische Vertreter bei den Vereinten Nationen, Andrej Taranda, erklärte im Namen des Landes, dass Belarus dem Menschenrechtsrat und anderen internationalen Organisationen bereits relevante Informationen über die Präsidentschaftswahlen 2020 zur Verfügung gestellt habe. Der Vertreter beschuldigte die westlichen Länder, die rechtmässig gewählte Regierung von Belarus durch unablässige Kampagnen direkter Drohungen in Bezug auf die wirtschaftliche Souveränität, Wirtschaftssanktionen, tägliche Fake News und politischen Druck zu untergraben. Er kritisierte die Verabschiedung der Resolution 46/20 und behauptete, sie sei voller unbegründeter Anschuldigungen und falscher Schlussfolgerungen, die nichts mit der Menschenrechtslage in Belarus zu tun hätten. Der belarussische Delegierte behauptete, dass die Empfehlungen der Resolution darauf abzielten, jegliche Organisationen gegen Belarus zu unterstützen, und argumentierte, dass diese Praxis mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen unvereinbar sei,weil sie die souveränen Rechte des Staates verletzten und sich in dessen innere Angelegenheiten einmischten. Er erklärte, sein Land erkenne die Resolution nicht an, da sie einen eklatanten Verstoss gegen die Charta der Vereinten Nationen darstelle und die Unabhängigkeit der Hohen Kommissarin für Menschenrechte untergrabe. Im Zusammenhang mit der Notlandung eines RyanAir-Fluges in Minsk habe das Büro der Hohen Kommissarin gefälschte und erfundene Informationen über die gewaltsame Festnahme eines Passagiers verbreitet. Der Sprecher von Weissrussland sagte, dass die Aussetzung der Flüge europäischer Fluggesellschaften nach Weissrussland Millionen von weissrussischen Bürgern und Bürgerinnen anderer Länder über Nacht die Bewegungsfreiheit verweigert habe. Der belarussische Botschafter meldete sich mehrmals zur Geschäftsordnung zu Wort und forderte die Delegationen auf, die offizielle UN-Terminologie zu verwenden und nur über das auf der Tagesordnung stehende Thema zu sprechen. Delegierte aus mehreren Ländern warfen Belarus vor, die russische Invasion in der Ukraine zu unterstützen, und bezeichneten die derzeitige Regierung als "Regime". Der Präsident des Menschenrechtsrates forderte die Delegationen auf, sich auf das Thema der Tagesordnung zu konzentrieren. Gleichzeitig erinnerte er die Teilnehmer daran, dass alle Delegationen das Recht auf freie Meinungsäusserung haben.  

Island äusserte sich im Namen der nordisch-baltischen Länder besorgt über die in Belarus begangenen Menschenrechtsverletzungen und verurteilte die russische Invasion in der Ukraine sowie die Beteiligung von Belarus daran. Die Europäische Union beschuldigte Weissrussland, mindestens 1.100 politische Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen festzuhalten und sie zu foltern. Der Delegierte Lichtensteins wies auf die Verstösse gegen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Belarus hin. 

Vertreter verschiedener Länder wie Deutschland, Finnland, Frankreich, Australien, Belgien, Polen und die USA verurteilten die Inhaftierung und Folterung von Zivilisten sowie andere inakzeptable Menschenrechtsverletzungen durch die belarussischen Behörden scharf. Ausserdem kritisierten die Delegierten die belarussische Regierung für ihre Beteiligung an der russischen Aggression gegen die Ukraine. Sie forderten die belarussischen Behörden auf, die notwendigen Massnahmen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen. Die Vertreter der Demokratischen Volksrepublik Korea, der Arabischen Republik Syrien und Venezuelas waren jedoch anderer Meinung als ihre Kollegen und bewerteten den Bericht des Hohen Kommissarin als politische Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Belarus. Der Delegierte der Russischen Föderation beschuldigte die Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen, im Bericht der Hohen Kommissarin einen voreingenommenen und politisierten Standpunkt zu vertreten, der sich auf fragwürdige Methoden und unbestätigte Zeugenaussagen stütze und eine einseitige und stark vereinfachte Analyse der Ereignisse in Belarus darstelle. 

Nationale Menschenrechtsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen  

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) äusserten ihre tiefe Besorgnis über die Inhaftierung von Menschenrechtsaktivisten in Belarus. Besonders besorgt waren sie über die Schliessung von fast 275 zivilgesellschaftlichen Organisationen und stellten fest, dass gezielte Angriffe der Regierung gegen Menschenrechtsaktivisten und -organisationen eine Bedrohung für die demokratische Entwicklung des Landes darstellen. Viele NGOs machten geltend, dass die von den Gerichten gegen Demonstranten verhängten Schuldsprüche den Mangel an richterlicher Unabhängigkeit im belarussischen Rechtssystem verdeutlichen. Die Vertreter erinnerten den Rat daran, dass willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sowie Folter in keinem Land akzeptabel sind. Viele Belarussen sind aufgrund von Drohungen gegen ihr Leben aus dem Land geflohen. Die Redner von Nichtregierungsorganisationen dankten der Hohen Kommissarin für die Arbeit ihres Büros zur Aufdeckung systematischer Menschenrechtsverletzungen im Hoheitsgebiet von Belarus. Sie riefen die Republik Belarus dazu auf, die Fortsetzung von Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, und forderten die Regierung auf, die Menschenrechtsgesetze zu fördern und zu schützen. Darüber hinaus kritisierten die Redner die belarussischen Behörden für ihre Unterstützung der russischen Invasion in der Ukraine und forderten die Einstellung der Feindseligkeiten.

Abschliessende Bemerkungen

Frau Bachelet dankte den Delegationen für ihre Teilnahme und gab abschliessende Bemerkungen ab. Viele Delegationen sprachen die Frage der Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen in Belarus an. Die Hohe Kommissarin wies darauf hin, dass die Frage der Rechenschaftspflicht von grundlegender Bedeutung für die Analyse der Geschehnisse sei, um Empfehlungen auszusprechen und die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass sich derartige Verstösse in Zukunft wiederholen. Im besten Fall sollte dieser Prozess auf nationaler Ebene stattfinden, wo die Regierung den Schutz der Menschenrechte übernimmt und das Recht auf Abhilfe garantiert. Frau Bachelet räumte ein, dass es wenig Aussicht auf eine Rechenschaftspflicht innerhalb von Belarus für die in diesem Land begangenen Menschenrechtsverletzungen gebe. Daher enthält der Bericht Empfehlungen an die belarussische Regierung sowie weitere Empfehlungen an die Staaten, im Rahmen der universellen extraterritorialen Gerichtsbarkeit im Einklang mit internationalen Standards Massnahmen zu ergreifen, um die Rechenschaftspflicht unter diesen besonderen Umständen zu fördern. Der Bericht konzentrierte sich auf Menschenrechtsverletzungen und stellte eindeutige Missstände fest, die internationale Verbrechen darstellen könnten, und forderte eine weitere Bewertung dieser beunruhigenden Straftaten. Frau Bachelet ermutigte die Regierung von Belarus, ihren Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsgesetzen nachzukommen, einschliesslich der Verpflichtung, Menschenrechtsverletzungen wirksam, unabhängig und unverzüglich zu untersuchen und Massnahmen zu ergreifen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Hohe Kommissarin erörterte, wie wichtig es ist, den Opfern Gerechtigkeit und wirksame Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen, und beklagte, dass sich die Situation nicht verbessert. Das Amt der Hohen Kommissarin hat ein klares Bild von den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen gezeichnet. Sie betonte, dass das Sammeln, Analysieren und Sichern von Beweisen der Schlüssel zur Rechenschaftspflicht und Prävention sei. Mehrere Delegierte fragten Frau Bachelet nach den Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine. Sie teilte dem Rat mit, dass ihr Büro mehrere Beschwerden über laufende repressive Massnahmen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivisten erhalten habe. Sie wies auf die Verhaftung von 800 Teilnehmern einer Anti-Kriegs-Demonstration in Minsk hin, obwohl die Veranstaltung friedlich verlief. Die Hohe Kommissarin teilte dem Rat mit, dass die Vereinten Nationen die Menschenrechtslage in Belarus weiterhin beobachten werden. 

Stellungnahme von GICJ

Geneva International Center for Justice (GICJ) verurteilt alle anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Republik Belarus. Wir bringen unsere tiefe Besorgnis über die willkürliche Verhaftung und Folter von Bürgerrechtlern, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern in Belarus zum Ausdruck. Die weit verbreitete öffentliche Unzufriedenheit nach den Präsidentschaftswahlen 2020 hat den Wunsch nach demokratischen Verbesserungen im Lande deutlich gemacht. Wir fordern die belarussische Regierung auf, die grundlegenden Menschenrechte zu achten und unabhängige und faire Untersuchungen der Misshandlungen aller Inhaftierten zu gewährleisten. GICJ verurteilt illegale Schlichtungen auf der Grundlage politischer Verfolgung und Polizeibrutalität bei Massendemonstrationen sowie in Haftanstalten. Die Bürgerinnen und Bürger von Belarus sollten ihre Rechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Redefreiheit ungehindert ausüben können. Wir begrüssen die Arbeit der Hochkommissarin für Menschenrechte und hoffen, dass die in ihrem Bericht enthaltenen Empfehlungen von den belarussischen Behörden umgesetzt werden. 

Read in English

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