Von: Nora Futtner und Natalia Brusco
Das Geneva International Centre for Justice (GICJ) stellt einen Bericht zur Zunahme von Hassrede in westlichen Demokratien vor, welche zu vermehrter Diskriminierung und Hassverbrechen gegen Minderheiten führte. Alle Menschen haben das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, aber wenn diese missbraucht wird, kann dies zu Hassrede führen. Dadurch werden bereits vulnerable Gruppen noch stärker stereotypisiert und diskriminiert.
Durch neuer Technologie und verbreitetem Zugang zum Internet weltweit sind Diskussionen über den Umgang mit Hassreden im Netz dringend notwendig. Rassistische Kommentare durch Politiker ermutigen Menschen mit diskriminierenden Ansichten, sich zu äußern. Staaten müssen mehr Maßnahmen ergreifen, um Hassreden zu überwachen und um sicherzustellen, dass Hassverbrechen absolut keine Toleranz erhalten. Das GICJ glaubt, dass alle Individuen unabhängig ihrer Ethnie mit Respekt und Würde behandelt werden müssen und gibt daher Empfehlungen, wie die Verbreitung von Hassreden eingedämmt werden kann, womit verhindert wird, dass Normen, die zu Diskriminierung und Gewalt führen, überhaupt entstehen.
Hassrede ist gefährlich, da sie das Potenzial hat, Intoleranz zu legitimieren und so gravierende Konsequenzen darstellen kann. Wenn Hassrede toleriert wird, entstehen neue Normen: Hass und Intoleranz werden in der Gesellschaft akzeptiert. Wenn eine Führungsperson, insbesondere eine Führungsperson, die Vertrauen genießt, Hassrede verwendet, wird dieser Prozess der Normentstehung vorangetrieben. In einem solchen gesellschaftlichen Klima werden Handlungen, die zuvor als extrem galten, vorstellbar oder sogar plausibel. In extremen Fällen kann Hassrede das schwerste Verbrechen des Völkermords auslösen, wie es unter anderem in Deutschland, Myanmar, Bosnien und Kambodscha geschah.
Das Diskriminierungsverbot ist ein etablierter Grundsatz im Völkerrecht. Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung (ICERD) der Vereinten Nationen, am 4. Januar 1969 in Kraft getreten, verbietet „jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat,“ dass fundamentale Menschenrechte eingeschränkt werden. Die Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung von 1981 legt in Art. 2 fest: „Niemand darf durch einen Staat, eine Institution, eine Gruppe von Personen oder eine Einzelperson aufgrund seiner Religion oder Überzeugung diskriminiert werden“.
Die Unterzeichnerstaaten dieser Abkommen, zu denen alle westlichen Demokratien, die in diesem Bericht erwähnt werden, gehören, sind verpflichtet, auf nationaler Ebene Maßnahmen zu ergreifen, die in Einklang mit den Anforderungen der Abkommen stehen. In diesem Bericht werden wir das Konzept der diskriminierenden und hasserfüllten Rede genauer betrachten, da es eine häufig nicht beachtetete Form von Diskriminierung ist und das Potenzial hat, seriöse gesellschaftliche Konsequenzen auszulösen.
In diesem Rahmen umfasst der Begriff der „westlichen Demokratie“ Länder in Europa sowie die USA, Kanada, Australien und Neuseeland, die einen hohen Maß an Wohlstand, Bürgerrechten, Freiheiten und Toleranz aufweisen sowie Diversität und politische Freiheiten begrüßen. Solche Länder werden auch als „liberale Demokratie“ beschrieben. Im konventionellen Diskurs gelten ihre menschenrechtlichen Standards als am höchsten und daher als wesentlicher Maßstab, nach dem alle streben sollten.
In den letzten Jahren erlebten viele Länder einen alarmierenden Anstieg an Hassrede und Diskriminierung. Politiker in westlichen Demokratien ignorieren flagrant die Vorschriften, die das ICERD vor 50 Jahren festgelegt hat, und lassen ihren Hassreden auf öffentlichen Plattformen freien Lauf. Anstatt das Recht auf freie Meinungsäußerung zu nutzen, um Einheit in der Gesellschaft zu schaffen, haben Führer rechtsnationalistischer Gruppen das Konzept kooptiert, um sich diskriminierend gegenüber Mitbürgern zu äußern. Rechtsextreme nationalistische Parteien wie die Dänische Volkspartei, die Schweizerische Volkspartei, die Freiheitliche Partei Österreichs, die Fidesz (Ungarn) und die Vereinigte Patrioten (Bulgarien) sind in ihrer Rhetorik und ihren Aktionen zunehmend fremdenfeindlich und rassistisch, aber zugleich beliebter geworden. Insbesondere nehmen rechtsextreme Parteien Flüchtlinge, Migranten und Muslime ins Visier, um gezielt ein Narrativ zu schaffen, dass Minderheiten nicht ins Land gehören.
Die digitale Welt erhöht das Potenzial der Hassrede, Menschen zu Gewalt aufzuhetzen, aufgrund der Schnelligkeit, mit der Hassrede verbreitet werden kann und der mangelnden Rechenschaft, die anonymes Posten mit sich bringt. Das Posten von Hassreden ermöglicht die Umwandlung gewalttätiger Gedanken in gewalttätige Handlungen, insbesondere wenn diese von vertrauten Politikern verbreitet werden. Mit einem einfachen Knopfdruck können Politiker Individuen auf der ganzen Welt erreichen. Diese neue Komplikation im Umgang mit Hassreden ist ein wichtiger Schwerpunkt in diesem Bericht.
Am 6. Januar 2021 beobachteten Menschen in aller Welt die gravierenden Konsequenzen in den USA von der Verbreitung von Hassreden im Netz ohne Regulierung. Trump-Anhänger, die sich seit Wochen auf Facebook und andere soziale Medien wie die unregulierte Plattform „Parler“ absprachen, stürmten das Kapitol der Vereinigten Staaten, sodass es zu Verletzungen und Todesfällen kam. Derweil wurde in Frankreich am 16. Oktober 2020 der Lehrer Samuel Paty auf offener Straße enthauptet, ein Terrorakt, der die Nation schockierte. In seinem Unterricht zum „Recht auf Meinungsfreiheit“ hatte Herr Paty seinen Schülern eine Karikatur des muslimischen Propheten Mohammed gezeigt. Dies löste eine Kampagne auf sozialen Netzwerken und Beschwerden aus, die forderten, er solle wegen des Zeigens von respektlosen Inhalt gegen Muslime entlassen werden, und führten letztendlich einige Tage später zu seinem Mord.
In Deutschland erschoss 2019 der Rechtsextremist Stephan Ernst den Politiker Walter Lübcke, der für sein Engagement für Flüchtlinge bekannt war. Im Anschluss wurde der Mord von Neonazis online unterstützt, was die abscheuliche Realität der Situation unterstreicht: Menschen sind dazu bereit, Hassverbrechen gegen andere, die ihre politischen Meinungen zur Abschiebung von Flüchtlingen nicht teilen, zu begehen und unterstützen und feiern solche Attacken im Internet als „Siege“. Das zeigt, welche drastischen Folgen Hassrede im Netz haben kann und macht es schwer, gegen Zensurgesetze zu argumentieren, die Verbrechen verhindern und sogar Leben retten können. Zur gleichen Zeit sehen wir, wie in Ungarn der Premierminister Viktor Orban und seine Partei Fidesz regelmäßig und frei Hassrede verwenden und dadurch die Fehlinformationen in der Öffentlichkeit ausnutzen, um eine politische Ordnung, die Minderheiten zum Sündenbock macht, aufzubauen.
Des Weiteren nahm seit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union Hassrede und somit Diskriminierung zu. Laut der britischen Polizei gibt es folgendes Muster: Wenn verbale Angriffe eskalieren, beginnen physische Angriffe. Im Jahr 2019 stellte sie fest, dass die Zunahme von Hassreden auf Twitter direkt mit Verbrechen gegen Minderheiten korreliert.
Dänemarks rechtsextreme Partei, Stram Kurs, ist für ihre islamfeindliche Ausrichtung bekannt. In Italien haben rechtsextreme Politiker unzählige Male Flüchtlinge und People of Color in ihren Aussagen verteufelt und verspottet. In Neuseeland befinden sich aktuell vier problematische rechtsextreme Parteien, von denen alle aktiv Hassrede auf soziale Medien posten. Das ist nicht in Ordnung und muss enden.
Das GICJ glaubt daran, dass das Recht auf freie Meinungsbildung und Meinungsäußerung ein fundamentales Menschenrecht ist, das geschützt werden muss. Die freie Meinungsäußerung wird weitgehend als wichtige Grundlage für eine offene und wohlbehaltene Gesellschaft betrachtet und darf nicht beeinträchtigt werden. In Ländern, die die Meinungsfreiheit schützen, konnten soziale Bewegungen, die den Zugang aller Bürger zu ihren sozialen, wirtschaftliche, kulturellen und politische Rechten verbessern wollen, ihre Meinungen verbreiten und Veränderungen bewirken. Zuletzt haben wir das bei den Black Lives Matter Protesten in den USA sowie der Māori-Land-Rechte-Bewegung in Neuseeland gesehen.
Allerdings gibt es einige, die glauben, dass das Ideal der Meinungsfreiheit Hassrede rechtfertigen kann. Die Meinungsfreiheit bedeutet nicht das Recht zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf jegliche Art und Weise, sich zu äußern. Die Meinungsfreiheit beinhaltet auch nicht das Recht, in sozialen Medien Stimmungen künstlich zu verstärken. Dieses Statement soll einen Überblick der aktuellsten Konsequenzen der ungehinderten Verbreitung von Hassrede schaffen. Um Hassrede erfolgreich zu konteragieren, ist die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen Religionen und Staaten bei der Umsetzung von Aktionsplänen entscheidend.
GICJ möchte Initiativen unterstützen, die zur Prävention von Hassrede, welche Hassverbrechen anstiften, dienen. Im Einklang mit der Strategie und dem Aktionsplan gegen Hetze hat das Büro der Vereinten Nationen zur Verhütung des Völkermords und zur Schutzverantwortung bereits zwei Projekte gestartet. Das Erste konzentriert sich auf die Verhinderung der Anstiftung zu Gewalt, die zu Gräueltaten führen kann. Das Büro hat hierfür Vorschriften erlassen, wie Staaten Hassrede eindämmen können, zum Beispiel durch eine Umstrukturierung des Bildungssystems, um die ethnische und kulturelle Diversität eines Staates besser zu reflektieren und dadurch Hass zu konteragieren und Solidarität zu stärken. Ebenso kann die effektive Durchsetzung von Recht und Herstellung von Gerechtigkeit und Rechenschaft, wenn Gewalttaten begangen werden, der Prävention dienen. Dieses Dokument beinhaltet Möglichkeiten der Politikgestaltung für Staaten als auch für die Zivilgesellschaft, die Medien, die Vereinten Nationen und regionale, subregionale und andere zwischenstaatliche Organisationen.
Das zweite Projekt des Büros befasst sich mit der bedeutenden Rolle von religiösen Führern im Kampf gegen die Anstiftung zu Gewalt. Religiöse Führer haben die Macht, durch den besonderen Einfluss und Respekt, den sie genießen, Hassrede und Anstiftung zur Gewalt vorzubeugen. Im „Fez-Prozess“ arbeitet das Büro mit religiösen Führern zusammen, mittels sechs Besprechungen und kontext-spezifische Strategie- und Aktionspläne, die nach jedem Meeting folgen. Das GICJ glaubt daran, dass die Implementierung dieser Aktionspläne, dank Kooperation und Solidarität zwischen Staaten und Religionen, unerlässlich für eine erfolgreiche Eindämmung von Hassrede ist.
Die internationale Gemeinschaft muss die Grenze zwischen Redefreiheit und Hassrede verschärfen. Staaten dürfen nicht zulassen, dass Rassismus und Diskriminierung siegen und Politiker müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie durch ihre Hassrede Gewalt anstiften. Zu oft wird Hassrede als Werkzeug benutzt, um hasserfüllte Aussagen über Minderheiten zu verbreiten, die zu Hassverbrechen führen können. Hassrede darf nicht normalisiert werden.
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