51. Ordentliche Tagung des Menschenrechtsrates

12. September - 7. Oktober 2022

Punkt 2 - Erweiterter Interaktiver Dialog über die Menschenrechtssituation von Frauen und Mädchen in Afghanistan


Von Danya Al-Thani / GICJ

Übersetzt von Gian Heimann 

Zusammenfassung

Am 12. September 2022 führte der Menschenrechtsrat einen erweiterten interaktiven Dialog über die Situation der Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban. Anlass für die Sitzung war der Bericht des Sonderberichterstatters zur Lage der Menschenrechte in Afghanistan, Richard Bennett, der die Menschenrechtssituation in Afghanistan vom 15. August 2021, als die Taliban die Kontrolle über Kabul übernahmen, bis Juli 2022 dokumentiert. Das Hauptaugenmerk des Berichts lag auf der Situation von Frauen und Mädchen, deren Rechte sich frappant verschlechtert haben.

Seit der Einsetzung einer rein männlichen, überwiegend paschtunischen Regierung in Afghanistan haben die Taliban behauptet, dass sie sich für den Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen im Land gemäss der Scharia einsetzten. In der Folge wurden die Rechte von Frauen und Mädchen jedoch erheblich durch Vorschriften beschränkt. Zu diesen Vorschriften gehören das obligatorische Tragen des Hidschabs, das Verbot bunter Kleidung, die Vorschrift, dass Frauen zu Hause bleiben müssen, wenn sie nicht unbedingt das Haus verlassen müssen, und Vorschriften, die bestimmte Reisen für Frauen ohne die Begleitung eines männlichen Vormunds einschränken.

Schätzungsweise 61 % der Frauen in Afghanistan haben seit der Rückkehr der Taliban an die Macht ihre Geschäfte und Arbeitsplätze verloren. Anwältinnen wurde die Zulassung entzogen, und viele Frauen wurden aus dem öffentlichen Dienst nach Hause geschickt. Etwa 850.000 Mädchen wurden von der Sekundarschulbildung ausgeschlossen, obwohl die Taliban versichert hatten, dass die Aussetzung der Sekundarschulbildung für Mädchen nur vorübergehend sei. Das Recht schützt Mädchen unter 15 Jahren nicht davor, verheiratet zu werden, was Anlass zur Sorge bereitet

Die stellvertretende UN-Generalsekretärin für Menschenrechte, Ilze Brands Kehris, die die Eröffnungsrede hielt, wies darauf hin, dass die internationale Gemeinschaft konkrete Massnahmen ergreifen müsse, um die Menschenrechte für Frauen und Mädchen in Afghanistan zu wahren. Herr Bennett und der Botschafter Afghanistans, Herr Nasir A. Andisha, forderten die Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus, um Frauen und Mädchen in Afghanistan einen möglichen Rechtsbehelf und Abhilfe zu bieten.

Geneva International Centre for Justice (GICJ) fordert die Regierung Afghanistans nachdrücklich auf, die in diesem interaktiven Dialog hervorgehobenen Menschenrechtsverletzungen wirksam anzugehen. Wir sind nach wie vor zutiefst besorgt über die anhaltende Gewalt und Diskriminierung von Frauen und Mädchen in diesem Staat. Wir fordern insbesondere die Taliban auf, die Politik und die Praktiken, die derzeit die Menschenrechte und die Freiheiten der afghanischen Frauen und Mädchen einschränken, zu ändern.

Hintergrund

Der Bericht des Sonderberichterstatters über die Menschenrechtslage in Afghanistan, Richard Bennett, wurde gemäss der Resolution des Menschenrechtsrates (A/HRC/RES/50/14) vorgelegt und gibt einen Überblick über die Menschenrechtsentwicklungen in Afghanistan seit dem Sturz der Islamischen Republik Afghanistan, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Rechten der Frauen unter den Taliban liegt.

Der Bericht befasst sich mit der Menschenrechtslage in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban bis Juli 2022. Nachdem die Taliban rasch die Kontrolle über viele Provinzhauptstädte erlangt hatten, übernahmen sie am 15. August 2021 die Kontrolle über Kabul. In der Folgezeit herrschte auf dem internationalen Flughafen von Kabul Chaos, was zum Tod vieler Menschen führte. Als sich die internationalen Streitkräfte schliesslich am 30. August vollständig zurückzogen und die Taliban die Provinz Panjshir einnahmen, erklärten sie die vollständige territoriale Kontrolle über Afghanistan.

Am 7. September 2021 setzten die Taliban ein rein männliches, überwiegend paschtunisches Verwaltungskabinett ein und ernannten andere Schlüsselpositionen in der Regierung auf nationaler und Provinzebene. Bei den ernannten Personen handelt es sich um Personen, die den Taliban nahe stehen und von denen viele auf den Sanktionslisten des UN-Sicherheitsrats (1276) und einzelner Mitgliedstaaten stehen. Obwohl die Taliban wiederholt behauptet haben, ihre Verwaltung sei inklusiv, fehlt es ihr an geschlechtlicher, ethnischer, religiöser, politischer und geografischer Vielfalt.

Seit der Machtübernahme haben internationale Organisationen ihre Besorgnis über die Menschenrechte unter den Taliban und insbesondere über die Rechte der Frauen zum Ausdruck gebracht. So setzten die Taliban beispielsweise zunächst die Sekundarschulen für Mädchen aus, bis Uniformen und Protokolle eingeführt werden konnten. Sie behaupteten, diese Massnahmen seien nur vorübergehend, doch in vielen Regionen blieben die Schulen geschlossen, und rund 850’000 Mädchen können weiterhin nicht zur Schule gehen. Der Bericht dokumentiert diese und mehrere andere Bereiche, in denen die Menschenrechte seit der Errichtung des neuen Taliban-Regimes in Afghanistan eingeschränkt wurden.

Eröffnungsrede

Ilze Brands Kehris, stellvertretende Generalsekretärin für Menschenrechte der UNO, betonte, dass es von entscheidender Bedeutung sei, die Stimmen afghanischer Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt der Diskussionen über die Menschenrechtslage in Afghanistan zu stellen. Das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte habe sich bemüht, eine Vielfalt dieser Stimmen in den Rat einzubringen. Dieser Dialog werde sich auf die Auswirkungen der Aktionen der Taliban auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten von Frauen und Mädchen, einschliesslich solchen, die Minderheiten angehören, sowie auf die entscheidende Rolle von Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen konzentrieren. Gegenwärtig haben Frauen und Mädchen nur begrenzten Zugang zu Mechanismen, die ihnen Gerechtigkeit und Abhilfe bieten können. Seit die Taliban die Macht übernommen haben, haben sie immer wieder behauptet, dass die Rechte der Frauen durch die Scharia geschützt seien, und dennoch haben ihre wiederholten Erlasse die Handlungsfähigkeit der Frauen zunichte gemacht, sie aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen, weiterführende Schulen für Mädchen geschlossen und schätzungsweise 850’000 Mädchen der Gefahr von Kinderheirat sowie wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Afghanistan sei nun das einzige Land der Welt, wo Mädchen der Zugang zu Sekundarschulbildung verweigert werde, was ihre Entwicklung und ihre Möglichkeit, in Zukunft ein unabhängiges Leben zu führen, einschränke und gleichzeitig den Fortschritt Afghanistans auf dem Weg zu einem gleichberechtigten und gerechten Land aufhalte.

Frauen sei der Zugang zu medizinischen Einrichtungen, insbesondere zur sexuellen und reproduktiven Gesundheitsfürsorge verwehrt worden, und die Flucht aus missbräuchlichen Beziehungen verunmöglicht. Weibliche Staatsbedienstete seien angewiesen worden, zu Hause zu bleiben, und einige hätten sogar ein männliches Familienmitglied als Ersatz benennen müssen. Frauen, die Minderheiten angehören, wie auch solche mit Behinderungen, würden besonders schikaniert und litten besonders unter Diskriminierung zwischen den Geschlechtern. Die Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte seien ebenso abgeschafft worden wie die Gerichte für Geschlechterfragen.

Die gender-basierte Gewalt und die Gewalt gegen Frauen sei chronisch, und es gebe keine Möglichkeit zur Abhilfe. Durch die rasche Schliessung öffentlicher Räume für Frauen sei die Rolle von Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen noch wichtiger geworden. Berichte über Angriffe, die darauf abzielten, ihre Stimmen zum Schweigen zu bringen, seien erschreckend. Solche Fälle würden nicht untersucht, und die Verantwortlichen entzögen sich der Strafverfolgung. Frau Kehris forderte den Rat auf, den Dialog in konkrete Massnahmen umzusetzen, damit die Frauen und Mädchen in Afghanistan sehen können, dass die internationale Gemeinschaft wirklich an ihrer Seite stehe. Der heutige Tag biete dem Rat die Gelegenheit, sein Engagement für die uneingeschränkte Verwirklichung der Menschenrechte für alle Frauen und Mädchen in Afghanistan zu bekräftigen und in die Tat umzusetzen.

Bericht des Sonderberichterstatters

Der Bericht des Sonderberichterstatters Richard Bennett befasst sich mit den Entwicklungen seit der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan im August 2021. Er enthält Einzelheiten zu Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, konfliktbedingten Verstössen, Einschränkungen der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten sowie der Rechtspflege. Er enthielt auch die Vision und die Prioritäten für das Mandat des  Sonderberichterstatters.

Der Bericht begann mit einer Darstellung der Übernahme Afghanistans durch die Taliban und der Einsetzung einer rein männlichen, überwiegend paschtunischen Übergangsregierung am 7. September 2021. Obwohl die Taliban wiederholt behauptet haben, diese Regierung sei inklusiv, fehlt es ihr an geschlechtlicher, ethnischer, religiöser, politischer und geografischer Vielfalt. Die De-facto-Behörden haben behauptet, dass die Rechte der Frauen durch die Scharia geschützt seien, doch die bisher ergriffenen Massnahmen geben Anlass zur Sorge, was dies in der Praxis bedeuten könnte.

Mehrere Massnahmen haben die Freiheiten und Rechte der Frauen in Afghanistan beschnitten. Dazu gehören die Aussetzung der Sekundarschulbildung für Mädchen, das obligatorische Tragen des Hidschab, die Vorschrift, dass Frauen zu Hause bleiben müssen, wenn sie nicht unbedingt das Haus verlassen müssen, das Verbot bestimmter Reisen ohne ein enges männliches Familienmitglied, der Entzug der Zulassung von Anwältinnen und die Vorschrift, dass Frauen keine farbige Kleidung tragen dürfen.

Als die Taliban noch an der Macht waren, wurden die Schulen für Mädchen geschlossen. Trotz ihrer Zusage, dass afghanische Mädchen nach dem 21. März 2022 wieder zur Schule gehen dürften, ist dies nicht geschehen. Die Behörden begründen diese Verzögerung mit den Schwierigkeiten bei der Einführung von Richtlinien und Uniformen, die dem islamischen Recht und der afghanischen Kultur entsprächen. Dies bedeutet, dass rund 850’000 Mädchen in 24 von 34 afghanischen Provinzen keine weiterführende Schule besuchen können.

Zwar wurden im Dezember 2021 in Afghanistan Gesetze zum Verbot von Zwangsheiraten eingeführt, doch bedauert der Sonderberichterstatter, dass darin kein Mindestalter für die Heirat festgelegt ist. Es besteht die Sorge, dass Mädchen unter 15 Jahren nach dem Gesetz verheiratet werden können, sofern ihr Vormund ihre Mündigkeit, Pubertät und Zweckmässigkeit für diese Ehe nachweist.

Vor der Machtübernahme durch die Taliban gab es im Jahr 2021 etwa 17’369 von Frauen geführte Unternehmen, die über 129’000 Arbeitsplätze schufen, von denen mehr als drei Viertel von Frauen gehalten wurden. Darüber hinaus gab es in der informellen Wirtschaft viele weitere nicht registrierte Unternehmen, die von Frauen geführt wurden. Bis März 2022 hatten 61 Prozent der Frauen ihren Arbeitsplatz oder ihre erträglichen Tätigkeiten verloren. Derartige Beschränkungen verursachen Schätzungen zufolge einen unmittelbaren wirtschaftlichen Verlust von 600 Millionen bis 1 Milliarde US-Dollar (etwa 3 bis 5 Prozent des BIP).

Ein zunehmendes Problem stellt auch die Ernährungssicherheit dar, die durch Dürre, steigende Rohstoffpreise, Einkommenseinbussen, Unterbrechungen der Versorgungskette (u. a. durch den Krieg in der Ukraine) und unzureichende Unterstützung durch Spenden verursacht wird. Das Welternährungsprogramm (WFP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation warnen, dass bis November 2022 schätzungsweise 18,9 Millionen Menschen - fast die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans - von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) schätzt, dass im Jahr 2022 4,7 Millionen Menschen an akuter Unterernährung aufgrund von Ernährungsunsicherheit leiden werden, was einem Anstieg von 21 Prozent gegenüber 2021 entspricht. Bereits im Juni 2022 schätzte das WFP, dass 1’078’804 Kinder unter fünf Jahren an schwerer akuter Unterernährung litten, während 2’807’452 Kinder an mässiger akuter Unterernährung und 836’657 schwangere und stillende Frauen an akuter Unterernährung litten.

Seit dem 15. August 2021 wurden vorsätzliche Schäden an kulturell bedeutsamen Stätten gemeldet. Künstlerische Bilder und Artefakte wurden zerstört, darunter Wandmalereien und Musikinstrumente im Afghanischen Nationalen Musikinstitut. Musiker und Künstler wurden öffentlich beschimpft und bestraft, u. a. mit Peitschenhieben, Ohrfeigen und Schikanen, so dass viele von ihnen gezwungen waren, aus dem Land zu fliehen oder unterzutauchen. Diese Handlungen gefährden den Lebensunterhalt und tragen zur Verschlechterung der kulturellen Vielfalt des Landes, des sozialen Zusammenhalts und der Kreativwirtschaft bei. Auch die Zahl der Journalisten und Medien ausserhalb der grossen städtischen Ballungsgebiete ist stark zurückgegangen; in mindestens vier Provinzen gibt es keine lokalen Medien mehr. In weiteren 15 Provinzen wurden zwischen 40 und 80 % der Medien geschlossen.

Der Sonderberichterstatter ist ferner der Ansicht, dass die Menschenrechte durch aussergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen, die Verweigerung eines ordnungsgemässen Verfahrens und fairer Prozesse, Zwangsvertreibungen, Kollektivstrafen und schwere Freiheitsberaubung der Bevölkerung untergraben werden. Die Tötung und Verstümmelung von Kindern macht ebenfalls 636 der zwischen Januar und Juni 2022 registrierten Verstösse aus. Derzeit leben 13,9 % der Bevölkerung mit schweren Behinderungen (vor allem Frauen) und 65 % mit leichten bis mittleren Behinderungen.

Die Sonderberichterstatterin kommt zu dem Schluss, dass sich die Situation trotz der Versprechen der Taliban, die Rechte der Frauen im Rahmen des Islams zu respektieren, krisenhaft verschlechtert hat. Dies ist in erster Linie auf die Handlungen der Taliban und ihr Versagen als Pflichtenträger zurückzuführen. Das Land zeigt deutliche Anzeichen eines Abstiegs in den Autoritarismus. Der Sonderberichterstatter fordert die Taliban auf, sich integrativer zu verhalten, die Rechte der Frauen zu achten, Vielfalt und unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren, die Bevölkerung zu schützen, der Gewalt abzuschwören, Menschenrechtsverletzungen zuzugeben und anzugehen, die Rechtsstaatlichkeit einschliesslich der Aufsichtsinstitutionen wiederherzustellen und Rechenschaft zu akzeptieren, zu fordern und zu leisten.

Interaktiver Dialog

In der Diskussion betonte der Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Afghanistan, Richard Bennett, wie wichtig es sei, vielfältige Plattformen für afghanische Frauen zu schaffen, damit sie sich äussern können. Er wies auch darauf hin, dass die Verweigerung der Rechte von Frauen und Mädchen ein zentrales Element der Ideologie der Taliban sei. Infolgedessen seien Gesetze erlassen worden, die das tägliche Leben von Frauen und Mädchen einschränken, sie ihrer Zukunft beraubten und sie ihrer Identität und Würde beraubten. Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten sowie Menschen mit Behinderungen werden zusätzlich diskriminiert. Bennett forderte die De-facto-Regierung auf, diskriminierende Politiken und Richtlinien, die die Rechte und Grundfreiheiten von Frauen und Mädchen in unangemessener Weise einschränken, dringend rückgängig zu machen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Bildung, Beschäftigung, Regierungsführung und allen anderen Aspekten des öffentlichen Lebens zu gewährleisten, alle weiterführenden Schulen für Mädchen unverzüglich und bedingungslos wieder zu öffnen und allen Mädchen und Jungen eine gleichberechtigte und hochwertige Bildung zu ermöglichen.

Der Botschafter und ständige Vertreter Afghanistans bei den Vereinten Nationen, Nasir Ahmad Andisha, erklärte, die erschütternde Situation, in der Millionen von Frauen und Mädchen in Afghanistan lebten, sei zutiefst alarmierend. Er bestätigte, dass alle Versprechen, die die Taliban der internationalen Gemeinschaft, dem afghanischen Volk und den Frauen und Mädchen Afghanistans gegeben hätten, gebrochen worden seien. Ihre frauenfeindliche, drakonische Herrschaftsform entspreche nicht der afghanischen Religion, Kultur oder ihren Werten. Darüber hinaus stellte er fest, dass sich die Taliban gegen die Modernität und den menschlichen Fortschritt stellen. Frauen würden für die Ausübung ihrer elementarsten Rechte bestraft und könnten sich an niemanden wenden - keine Unterstützung, keinen Schutz und keine unabhängige Menschenrechtskommission. Er bekräftigte, dass alle Frauen und Mädchen Anspruch auf alle Rechte hätten, die in den Verträgen verankert seien, denen Afghanistan beigetreten ist. Herr Andisha behauptete, dass das Personal und die Mittel des Hilfsmechanismus der Vereinten Nationen in Afghanistan unzureichend seien, und sprach sich für die Einrichtung eines unabhängigen Menschenrechtsmechanismus aus, der Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte in Afghanistan dokumentieren soll, um den Opfern Abhilfe zukommen zu lassen.

Die ehemalige Kommissarin der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission, Razia Sayad, berichtete, dass die Taliban schwere Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen in Afghanistan begangen hätten. Dazu gehörten Regeln und Vorschriften, die Frauen erniedrigten. Sie brachte zum Ausdruck, dass den Afghanen ihre rechtliche, soziale und wirtschaftliche Identität verweigert worden sei. Die derzeitige Tragödie sei ein Nebenprodukt der Systeme, die in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden und entwickelt worden seien. Ausserdem habe das Regime die Gerichte und Staatsanwaltschaften, die über Verstösse gegen die Rechte der Frauen urteilten, geschlossen. Unter der Taliban-Herrschaft wurden weibliche Anwälte durch fanatische Taliban-Mitglieder ersetzt, so dass Frauen keinen Zugang zur Justiz hatten. Frauen wurden in den Justizeinrichtungen besonders misshandelt und beleidigt.

Bandana Rana, Mitglied des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frauen und Koordinatorin der Task Force des Ausschusses für Afghanistan, betonte, dass es in Afghanistan so gut wie keine Beteiligung von Frauen am politischen und zivilen Leben gibt. Sie erklärte, dass alle Weisungen der De-facto-Regierung die Dominanz und Kontrolle der Männer über das Leben der Frauen verstärkten. Die Abschaffung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten und der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission sowie die Reaktivierung des Ministeriums für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters seien ein klares Signal an die Frauen und die mit der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter betrauten Einrichtungen, dass es keinen Platz für sie gebe.

Im Namen der nordischen und baltischen Länder ist der Vertreter Schwedens nach wie vor zutiefst besorgt über die sich verschlechternde Lage in Afghanistan, einschliesslich des Zugangs zur Bildung und des Ausschlusses von Frauen von politischen und sozialen Angelegenheiten. Sie stellten fest, dass die Versprechen der Taliban, die Menschenrechte von Frauen und Mädchen zu achten, nicht eingehalten wurden. Der Delegierte forderte die De-facto-Behörden auf, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, um Frauen und Mädchen den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte, wie Freizügigkeit, Meinungsfreiheit und Zugang zu Bildung und Arbeit, zu gewährleisten.

Die Vertreterin der Europäischen Union wies darauf hin, dass Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme durch die Taliban nicht mehr in den Genuss aller Menschenrechte kommen. Die EU appelliert an die Taliban, die Politiken und Praktiken rückgängig zu machen, die die in den letzten 20 Jahren erzielten Fortschritte zunichtegemacht und die Rechte und Freiheiten von Frauen und Mädchen eingeschränkt haben. Sie betonen ferner, dass die De-facto-Regierung das humanitäre Völkerrecht einhalten, unverzüglich alle Schulen öffnen und das Recht von Frauen und Mädchen achten müssen, sich frei zu bewegen, zu versammeln, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und an der Arbeit und anderen Aspekten des öffentlichen Lebens teilzunehmen. Die EU würdigt und begrüsst den Mut der Frauen und Mädchen in Afghanistan, die sich nach wie vor an vorderster Front für die Wahrung ihrer Menschenrechte einsetzen und weiterhin Rechenschaft und die Achtung ihrer Würde einfordern.

Der Delegierte Pakistans sprach im Namen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Sie äusserten ihre Besorgnis über die heutige Krise in Afghanistan, die auf eine Reihe von Konflikten und Instabilitäten in den letzten Jahren zurückzuführen ist. Darüber hinaus forderten sie die De-facto-Regierung auf, ihre Entscheidung, die Sekundarschulbildung für afghanische Mädchen auszusetzen, zu überdenken. Schliesslich stellten sie fest, dass die kumulativen Auswirkungen von Konflikten, Gewalt und Naturkatastrophen die katastrophale humanitäre, soziale, wirtschaftliche und menschenrechtliche Lage der afghanischen Bevölkerung, einschliesslich der Frauen und Mädchen, noch verschlimmert haben. Der OIC betont die Bedeutung eines nachhaltigen internationalen Engagements für das afghanische Volk in Bereichen wie Erholung, Wiederaufbau, Entwicklung und Finanzhilfe.

Der Delegierte Österreichs schloss sich der Erklärung der EU an. Österreich verurteilt alle von den Taliban verhängten Massnahmen, wie die Durchsetzung der strengen Form des Hijab, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen und die starken Hindernisse für die Beschäftigung. Diese Einschränkungen missachten die wichtige Rolle, die Frauen im sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Afghanistans seit jeher spielen. Österreich ist auch sehr besorgt über die Situation von Journalistinnen in Afghanistan. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen haben 84% der Journalistinnen und weiblichen Medienschaffenden im letzten Jahr ihren Arbeitsplatz verloren. Mehrere Journalistinnen wurden gezwungen, Afghanistan zu verlassen, und die zunehmenden Restriktionen durch die Taliban machen es denjenigen, die bleiben, schwer. Österreich fordert die faktischen Behörden auf, Politiken und Richtlinien, die sich negativ auf Frauen auswirken, unverzüglich rückgängig zu machen und dem Recht von Frauen und Mädchen auf gleichberechtigte Teilhabe an Bildung, Beschäftigung und allen anderen Aspekten des öffentlichen Lebens Priorität einzuräumen.

Der Vertreter der Russischen Föderation nahm die Bemühungen der afghanischen Regierung zur Kenntnis, die Rechte von Frauen und Mädchen in den Bereichen Heirat und Vermögensnachfolge zu gewährleisten. Die Russische Föderation teilte ihre Besorgnis über die Ausübung des Rechts auf Bildung. Der Vertreter erklärte, dass im Gesundheitssektor 40’000 Frauen und in anderen staatlichen Einrichtungen, einschliesslich des Bildungswesens, weitere 92’000 Frauen beschäftigt seien. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten bei der Organisation getrennter Klassen für Jungen und Mädchen sei der Bildungsprozess für Frauen in den weiterführenden Schulen jedoch ins Stocken geraten. Um diese Probleme zu lösen, fordert Russland, dass die Vereinigten Staaten und andere Länder das Einfrieren der Vermögenswerte von Schulen aufheben. Diese Staaten müssten die Taliban beim Wiederaufbau Afghanistans unterstützen.

NGO und Organisationen der Zivilbevölkerung

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGO) äusserten sich ähnlich besorgt über die Verschlechterung der Rechte von Frauen und Mädchen in Bezug auf die uneingeschränkte Wahrnehmung ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seit der Machtübernahme durch die Taliban. Frauen und Mädchen sind mit einer Situation konfrontiert, in der ihre Grundrechte allein aufgrund ihres Geschlechts rasch und systematisch verletzt und verweigert werden. Führende NGO und Menschenrechtsanwälte haben diese "Geschlechter-Apartheid" als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet.

Infolge der sich verschlechternden Situation mit akuter Ernährungsunsicherheit, Unterbrechung der Gesundheitsversorgung und psychischer Notlage hat die Ausbeutung und Vernachlässigung von Kindern zugenommen. Darüber hinaus betonten NGOs, dass die internationalen Finanzmittel für Afghanistan rechenschaftspflichtig und transparent sein müssten.

Die NGOs forderten die internationale Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten auf, dringend Massnahmen zu ergreifen, um ein sicheres und geschütztes Umfeld für alle Frauen und Mädchen in Afghanistan zu gewährleisten.

In den Erklärungen wurde unter anderem auf die Notwendigkeit hingewiesen, einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus einzurichten, um alle Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen zu überwachen.

Abschliessende Äusserungen

ZAHRA JOYA, Journalistin und Vertreterin von Rukhshana Media, befürwortet es  die Diskussion über Afghanistan und die dortige Situation der Frauenrechte zu halten und zu priorisieren . Als Journalistin forderte sie alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, sich ernsthaft mit der Situation des Landes und seiner Frauen zu befassen und die Taliban zur Rechenschaft zu ziehen und ihnen die Reisefreiheit zu verbieten.

RAZIA SAYAD, afghanische Anwältin und ehemalige Kommissarin der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission, sagte, sie habe ihr ganzes Leben in Afghanistan gelebt und kenne ihr Volk, das Land und die Taliban. Niemand kenne das Wesen und die Ideologie der Taliban besser als eine afghanische Frau. Die Taliban würden sich weder ändern noch dem internationalen Druck nachgeben, sondern seien sogar noch unnachgiebiger geworden. Besorgnis zu äussern, hat die Schmerzen der Frauen nicht gelindert. Das Einzige, was helfen würde, wäre die Errichtung eines demokratischen Regimes in Afghanistan.

MAHBOUBA SERAJ, afghanische Frauenrechtsaktivistin und Journalistin, erinnerte den Rat an die Redewendung "walk the talk" und forderte die Mitgliedstaaten auf, sich an diese Redewendung zu halten. Alle Anwesenden sollten den Taliban zeigen, was sie zu tun haben und was getan werden muss, damit dies geschieht. Die internationale Gemeinschaft sollte nicht zeigen, dass sie verzweifelt ist und nichts tun kann, denn das ist nicht der Fall. Die internationale Gemeinschaft sollte dies sehr ernst nehmen.

NASIR AHMAD ANDISHA, Ständiger Vertreter Afghanistans beim Büro der Vereinten Nationen in Genf, sagte, die Botschaften seien laut und deutlich gewesen, und alle Redner unterstützten die Wiederherstellung der Rechte der afghanischen Frauen und Mädchen. Die internationale Aufmerksamkeit, die dem Thema zuteil wird, zeigt seine Bedeutung. Dies sei die grösste und wichtigste Gelegenheit für die afghanischen Frauen, sich Gehör zu verschaffen. Alle sollten die Wiederherstellung der Frauenrechte in den Vordergrund ihrer Anliegen stellen. Dies sollte zu weiteren Diskussionen führen.

BANDANA RANA, Mitglied des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau und Koordinatorin der Task Force des Ausschusses für Afghanistan, wiederholte die Bemerkung von Frau Seraj, dass die afghanischen Frauen ausgelöscht würden. Die internationale Gemeinschaft müsse gemeinsam sichtbare Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass dies nicht der Fall sei. Die Mädchen in Afghanistan hoffen immer noch, dass sie ihr Studium fortsetzen und ihre Wünsche erfüllen können. Es gebe keine Alternative zum gemeinsamen Handeln. Die Organisationen der Vereinten Nationen müssen solidarisch arbeiten, Synergien schaffen und miteinander kommunizieren, um die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken. Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen hatte einen Bericht von den De-facto-Behörden in Afghanistan angefordert und ist der Meinung, dass es eine Form der Kommunikation geben könnte, um die Situation von Frauen und Mädchen zu verbessern.

RICHARD BENNETT, Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte in Afghanistan, sagte, dies sei ein sehr bedeutendes Ereignis gewesen. Er hat die Bedeutung der Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan unterstrichen. Es war eine Botschaft an die Afghanen und insbesondere an die afghanischen Frauen, dass sie nicht im Stich gelassen werden. Die internationale Gemeinschaft trägt eine gemeinsame Verantwortung - in der Praxis muss viel mehr getan werden als bisher, und das könnte damit beginnen, dass man den afghanischen Frauen zuhört und sie auffordert, eine Strategie zu entwickeln. Ein echter Wandel würde aus dem Inneren Afghanistans kommen, und dafür gibt es erste Anzeichen. Praktische Unterstützung für diejenigen, die innerhalb Afghanistans kämpfen, und sogar für diejenigen, die sich ausserhalb Afghanistans niederlassen, sei dringend erforderlich.

FEDERICO VILLEGAS, Präsident des Menschenrechtsrates, schloss den verstärkten Dialog mit einem Dank an die mutigen Frauen aus Afghanistan, die im Saal und auch aus Afghanistan selbst gesprochen hatten. In dieser Situation war es für die Frauen ein Risiko, sich zu Wort zu melden. Der Rat trage eine kollektive Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte aller Menschen, unabhängig von Nationalität, Kultur und Religion, und in diesem Fall bestehe eine doppelte Verantwortung im Falle Afghanistans, da die Hälfte der Bevölkerung systematisch ihrer Rechte beraubt werde. Der Rat werde seine Aufmerksamkeit auf diese Situation richten. Er müsse seinen Worten Taten folgen lassen, und das werde er auch weiterhin tun. Alle Mitglieder waren sich einig, was das Engagement der internationalen Gemeinschaft für die Lage der Frauen und Mädchen in Afghanistan zeigt.

Position von Geneva International Centre for Justice

Geneva International Centre for Justice (GICJ) fordert die Regierung Afghanistans nachdrücklich auf, die in diesem Dialog hervorgehobenen Menschenrechtsverletzungen wirksam anzugehen. Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen und Mädchen in diesem Land geben weiterhin Anlass zu grosser Sorge. Wir rufen alle Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und zuständigen Behörden auf, im höheren Interesse der Menschheit gemeinsam zu handeln und der geschlechtsspezifischen Verfolgung und Diskriminierung ein Ende zu setzen.  Die UN-Mitgliedsländer und die internationale Gemeinschaft müssen in dieser ernsten Situation unbedingt für die Menschenrechte afghanischer Frauen und Mädchen eintreten. Schliesslich ruft GICJ die internationale Gemeinschaft dazu auf, die De-facto-Regierung der Taliban für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen und drängt sie dazu, Menschen, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind, besondere humanitäre Hilfe zukommen zu lassen: wie Frauen und Mädchen, Angehörige von Minderheiten und andere Risikogruppen.



Read in English

HRC51, Afghanistan, Menschenrechtsverletzungen, Justiz, Menschenrechte, Frauenrechte, Mädchenrechte, Genf, Geneva4justice, GICJ, Geneva International Centre for Justice, Menschenrechtsrat




GICJ Newsletter