49. Tagung des Menschenrechtsrates

28. Februar - 1. April 2022

Punkt 10 - Hochrangiger interaktiver Dialog über die Zentralafrikanische Republik

30. März 2022

Von Amal Bushara / GICJ

Übersetzt von Viktoria Kropp / GICJ

Zusammenfassung 

Am 30. März fand in Genf die 52. Sitzung der 49. ordentlichen Tagung des UN-Menschenrechtsrates statt. Michelle Bachelet, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, berichtete über die katastrophale humanitäre Lage in der Zentralafrikanischen Republik, die durch den anhaltenden Bürgerkrieg verursacht wird. Seit der gewaltsamen Machtübernahme im Jahr 2013 befindet sich die Zentralafrikanische Republik in Aufruhr. In der Folge des Konflikts wurden trotz anhaltender Feindseligkeiten und Angriffe auf die Zivilbevölkerung mehrere Friedensabkommen unterzeichnet. Die Hochkommissarin wies auf den diskriminierenden Charakter der Gewalt hin, da Muslime als Rache für ihre Unterstützung der vertriebenen Seleka-Miliz gezielt angegriffen werden. Auch die sexuelle Gewalt im Zusammenhang mit dem Konflikt gibt nach wie vor Anlass zu grosser Sorge. Frau Bachelet bestätigte, dass alle am bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien auch nach dem jüngsten Waffenstillstand Verbrechen sexueller Natur begangen haben.

Im Anschluss an die Rede der Hohen Kommissarin meldeten sich verschiedene Experten, Staatsvertreter und relevante Akteure zu Wort und bekräftigen ihr Engagement für die Unterstützung der nationalen und internationalen Bemühungen zur Beendigung der anhaltenden Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik. Die Regierung wurde für ihre Bemühungen zur Unterstützung und zum Schutz der Menschenrechte gelobt, indem sie zwei Räte zur Bekämpfung sexueller Gewalt in Konflikten und zur Förderung der Menschenrechte und der verantwortungsvollen Staatsführung ernannt hat. Die Redner wiesen auch auf die Bedeutung von Massnahmen der Übergangsjustiz als Mittel zur Bekämpfung der weit verbreiteten und systematischen Gewalt in der ZAR hin. Arnaud Djoubaye Abazene, Minister für Justiz und Menschenrechte der Zentralafrikanischen Republik, bekräftigte, dass die Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik nur durch eine enge Zusammenarbeit beseitigt werden kann.

Hintergrund

Im Jahr 2012 brach in der Zentralafrikanischen Republik Gewalt aus, nachdem die Seleka, eine rebellische Koalition, die Regierung beschuldigt hatte, Friedensvereinbarungen zu brechen. Präsident Francois Bozize wurde 2013 von den mehrheitlich muslimischen Seleka-Rebellen gewaltsam aus dem Amt entfernt. Die eingesetzte Übergangsregierung wurde daraufhin mit der Aufgabe betraut, den Frieden wiederherzustellen. Obwohl die Seleka für aufgelöst erklärt worden war, verübte eine neue Rebellengruppe, die sogenannte Ex-Seleka, weiterhin Gewaltverbrechen. Ende 2013 verschärfte sich das Problem, als die überwiegend christliche Anti-Balaka-Bewegung zu den Waffen griff und gegen Muslime vorging. Religiöse Unterschiede zwischen den muslimischen Séléka-Kämpfern und den christlichen Anti-Balaka, ethnische Unterschiede zwischen den Ex-Séléka-Fraktionen und historische Feindseligkeiten zwischen Landwirten, die die Mehrheit der Anti-Balaka stellen, und nomadischen Gruppen, die die Mehrheit der Séléka-Kämpfer ausmachen, sind in der Tat Quellen von Spannungen, aber der Konflikt sollte nicht auf ethnische Differenzen reduziert werden. Der Kampf um die Kontrolle von Diamanten und anderen Ressourcen in dem rohstoffreichen Land sowie der Einfluss regionaler Mächte wie Tschad, Sudan und Ruanda und internationaler Mächte wie Frankreich und Russland sind gleichermassen wichtige Faktoren in dem anhaltenden Konflikt in der ZAR.

Der jahrelange Konflikt und die Instabilität haben die Infrastruktur und die staatlichen Einrichtungen zerstört, so dass Millionen von Zivilisten ohne sauberes Wasser, Gesundheitsversorgung oder Nahrungsmittel sind. Mehr als 1,1 Millionen Zentralafrikaner waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen, und mehr als 600’000 Menschen wurden innerhalb der Zentralafrikanischen Republik vertrieben, wobei etwa eine halbe Million in die Nachbarländer fliehen musste. Binnenvertriebene Afrikaner fliehen häufig ohne Nahrung und Wasser vor der Gewalt und sind wochenlang unterwegs, um sich in Gebieten zu verstecken, in denen sie keinen Zugang zu humanitärer Hilfe haben. Andere fliehen nach Kamerun, in den Tschad, in die Demokratische Republik Kongo und in die Republik Kongo, während eine kleinere Zahl in den Sudan und den Südsudan flieht.

Seit Beginn des Konflikts wurde über eine Million Kinder ihrer Kindheit beraubt. Unzählige von ihnen haben Angehörige durch grausame Gewalttaten verloren, und viele weitere leiden unter den Folgen dieser Gewalttaten. Sowohl Ex-Seleka- als auch Anti-Balaka-Rebellen haben Mädchen und Frauen sexuell versklavt und vergewaltigt. Sexuelle Übergriffe sind sowohl eine Folge als auch eine Taktik des Krieges in der Zentralafrikanischen Republik. Zu den langfristigen Folgen sexueller Übergriffe gehören Krankheiten, Verletzungen, unerwartete Schwangerschaften, Stigmatisierung, Fahnenflucht sowie der Verlust der Lebensgrundlage und des Zugangs zu Bildung.

Im Februar 2019 wurde ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und 14 bewaffneten Gruppierungen verkündet. Trotzdem bleibt die Sicherheitslage im Land unsicher. Bewaffnete Kämpfe zwischen Regierungstruppen und einer Koalition bewaffneter Gruppen in zahlreichen Städten veranlassten schätzungsweise 168’000 Kinder und ihre Familien, ihre Häuser im Vorfeld und nach den Parlamentswahlen im Dezember 2020 zu verlassen. Bis September 2021 wurden landesweit mehr als 720’000 Menschen vertrieben. Heute sind schätzungsweise 3,1 Millionen Menschen aufgrund der kombinierten Folgen von Gewalt, COVID-19, Fragilität als Folge langjähriger soziopolitischer, institutioneller und staatlicher Mängel sowie tief verwurzelter Wahrnehmungen und Stereotypen zwischen den Gruppen auf Hilfe angewiesen. Trotz der dringenden Bedürfnisse der Familien ist die internationale Aufmerksamkeit begrenzt, und die humanitäre Hilfe ist chronisch unterfinanziert. Der Bedarf an Soforthilfe ist grösser denn je; ohne sie wird eine ganze Generation zugrunde gehen. 

Interaktiver Dialog

Während des hochrangigen Dialogs über die Zentralafrikanische Republik lobte Frau Bachelet die Bemühungen des Landes, den Menschenrechten mehr Bedeutung beizumessen. Sie stellte fest, dass es bescheidene Entwicklungen in den Bereichen der nationalen Justiz und des Sonderstrafgerichtshofs gegeben habe, erklärte jedoch, dass der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik trotz der einseitigen Waffenstillstandserklärung des Präsidenten vom 15. Oktober 2021 weiterhin zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch alle Parteien führe. Mehrere bewaffnete Gruppierungen begehen weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen. Militärische Aktionen gegen diese Organisationen durch die Sicherheitsdienste der Regierung, die angeblich von anderen bewaffneten Gruppen und ausländischen privaten Auftragnehmern unterstützt wurden, haben angeblich ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Abschliessend äusserte sich die Hochkommissarin sehr besorgt über die zunehmende Zahl von Ereignissen, bei denen es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und -missbrauch kam, sowie über die wachsende Rolle der Verteidigungskräfte des Landes und seiner Verbündeten bei solchen Verstössen. Das Fehlen einer Rechenschaftspflicht für derartige Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des humanitären Rechts ebnete den Weg für neue Zyklen der Gewalt im ganzen Land. Sie forderte alle Parteien auf, sich an das am 15. Oktober 2021 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen zu halten, und forderte die Regierung auf, Verstösse durch ihre Streitkräfte und Partner zu unterbinden und alle Täter zur Rechenschaft zu ziehen, einschliesslich der Anführer bewaffneter Gruppen und Soldaten. Im Anschluss an den Überblick der Hochkommissarin über die ernste Lage in der Zentralafrikanischen Republik meldeten sich prominente Experten und einschlägige Akteure zu Wort.

Yao Agbetse, unabhängiger Experte für die Lage der Menschenrechte in der Zentralafrikanischen Republik, sprach das Problem der bevorstehenden Kommunalwahlen an. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, bei der Organisation und Sicherheit der Wahlen, die innerhalb der verfassungsmässigen Frist stattfinden müssen, zu helfen. Herr Agbetse betonte, dass die notwendigen Vorbereitungen für freie, transparente und friedliche Wahlen jetzt getroffen werden müssen und die Beteiligung von Frauen, Jugendlichen, Flüchtlingen und Vertriebenen sichergestellt werden müsse. Die republikanische Diskussion, zu der sich die Staatschefs Ende 2020 verpflichtet haben, findet vom 21. bis 27. März 2022 in Bangui statt. Herr Agbetse forderte die Behörden der Zentralafrikanischen Republik auf, die Empfehlungen so schnell wie möglich umzusetzen, den Dialog mit allen Akteuren fortzusetzen, auch mit denen, die nicht am republikanischen Dialog teilgenommen haben, und alle Massnahmen zu vermeiden, die das Land wieder in das Chaos und die Gewalt der Vergangenheit zurückversetzen könnten. Abschliessend zeigte sich der Unabhängige Experte überzeugt, dass die Zentralafrikanische Republik durch den Dialog und vernünftige politische Entscheidungen aus ihrer derzeitigen prekären Lage herauskommen wird.

Lizabeth Cullity, stellvertretende Leiterin der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik und stellvertretende Sonderbeauftragte des Generalsekretärs, erläuterte, wie wichtig die Bemühungen der Menschenrechtsabteilung der Mission um Aufklärung in der Zentralafrikanischen Republik sind. Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik wird im Mai 2021 ihr Amt antreten. Frau Cullity wies darauf hin, dass die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik die Menschenrechte schützt, indem sie zivile und militärische Elemente kombiniert. Die Vereinten Nationen leisteten technische und finanzielle Unterstützung für die Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission, die den Zentralafrikanern den Weg zur Schaffung einer gemeinsamen Erinnerung, zur Identifizierung der Opfer und zu deren Entschädigung ebnete. Das Hauptziel bestand darin, den sozialen Zusammenhalt jetzt und in Zukunft zu stärken. Die Unterstützung der Mission ermöglichte es der Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission zwar, ihre Strategie zu entwickeln, doch äusserte Frau Cullity ihre Besorgnis darüber, ob die Institution in der Lage sei, ihr Mandat auszuführen, da ein langfristiges Budget fehle und es zu Verzögerungen bei der Beschaffung von Büroräumen und Verwaltungskapazitäten komme. Frau Cullity bekräftigte das Engagement der Vereinten Nationen für die Beendigung der Straflosigkeit und berichtet, dass die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik in Zusammenarbeit mit dem UN-Länderteam den Sonderstrafgerichtshof weiterhin finanziell unterstützt. Abschliessend lobte Frau Cullity die prompte Reaktion der Regierung in einer Reihe von Fällen, in denen schwerwiegende Übertretungen gemeldet wurden.

Zu den Menschenrechtsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik sagte Fernand Mande Djapou, Vorsitzender der Arbeitsgruppe der Zivilgesellschaft für Übergangsjustiz, dass die Lage vor Ort seit dem gescheiterten Staatsstreich im Dezember 2020 besonders angespannt sei. Bewaffnete Gruppen, insbesondere Söldner, seien für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Diese Organisationen hätten gezielte Angriffe und aussergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt, Kinder rekrutiert und die Bewegungsfreiheit der Menschen eingeschränkt. Herr Djapou wies auf die zahlreichen Hindernisse hin, die es aufgrund der Grösse des Gebiets erschweren, sich von einem Gebiet in ein anderes zu begeben, um zu seinem Recht zu kommen. Weitere Probleme, die den Zugang zur Justiz beeinträchtigen, sind der Mangel an grundlegenden sozialen Diensten wie Gesundheit und Bildung, der sich auf die Menschen auswirkt. Auch Antipersonenminen und Streubomben sind weiterhin ein Problem. Es wurden auch zahlreiche Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen gemeldet, ebenso wie die Enteignung von Land, die dazu führte, dass Menschen gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden. Herr Djapou betonte, dass die betroffenen Menschen unverzüglich umgesiedelt werden müssen. 

Während der interaktiven Diskussion über die Zentralafrikanische Republik meldeten sich auch Staaten zu Wort, darunter Norwegen im Namen der nordisch-baltischen Länder, Ägypten, Senegal, Frankreich, Venezuela, Luxemburg, China, Sri Lanka, die Russische Föderation, Benin, Marokko, Mauretanien, Sudan, die Vereinigten Staaten, Belgien, das Vereinigte Königreich, Portugal, Irland und Kamerun. Sie äusserten sich schockiert über die hohe Zahl der registrierten Fälle von geschlechtsspezifischer und konfliktbedingter sexueller Gewalt sowie über die schweren Übergriffe auf Minderjährige und religiöse Minderheiten. 

Die Vertreter der Staaten erinnerten an das Versprechen der zentralafrikanischen Regierung, gegen die Straflosigkeit vorzugehen, lobten aber auch die Bemühungen der zentralafrikanischen Regierung, den sozialen Frieden und die nationale Aussöhnung zu fördern sowie die Sicherheit und Stabilität im ganzen Land wiederherzustellen. Andere drängten darauf, dass die bewaffneten Gruppen innerhalb eines von der internationalen Gemeinschaft vereinbarten formellen Rahmens und in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen der Zentralafrikanischen Republik demobilisiert und entwaffnet werden. 

Stellungnahme von GICJ

Geneva International Centre for Justice (GICJ) würdigt die Bemühungen der Zentralafrikanischen Republik im Kampf gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen und begrüsst die Unterstützung nationaler und internationaler Organisationen bei der Beendigung des anhaltenden Konflikts. GICJ möchte allen Teilnehmern für ihre Erklärungen und Beiträge danken. Es ist dringend notwendig, die Menschenrechtssituation in der Zentralafrikanischen Republik zu verbessern, wie die Erklärung der Hochkommissarin zeigt. Wir fordern daher die Regierung der Zentralafrikanischen Republik auf, Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensabkommens zu machen und einen Dialog zwischen allen am Konflikt beteiligten Akteuren einzuleiten. 

GICJ appelliert an alle Parteien, den uneingeschränkten, sicheren, sofortigen und ungehinderten Zugang für die rechtzeitige Bereitstellung humanitärer Hilfe für die bedürftige Bevölkerung, insbesondere für Binnenvertriebene, im gesamten Gebiet der Zentralafrikanischen Republik im Einklang mit dem einschlägigen Völkerrecht und den humanitären Grundsätzen zu ermöglichen. GICJ ruft ausserdem alle Parteien auf, das gesamte medizinische und humanitäre Personal zu respektieren und zu schützen. Angesichts der zunehmenden Anwendung sexueller Gewalt durch die Konfliktparteien fordern wir die ZAR auf, ihre Massnahmen zur Prävention und Reaktion auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt im Einklang mit der Resolution 2467 (2019) des UN-Sicherheitsrats zu verstärken, indem sie die Parteien bei Massnahmen im Einklang mit der Resolution 2467 (2019) des UN-Sicherheitsrats unterstützt und sicherstellt, dass die Risiken sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt in die Datenerfassung, die Bedrohungsanalyse und die Frühwarnsysteme der Mission aufgenommen werden. Dabei muss die Regierung mit Überlebenden und Opfern von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt auf ethische Weise umgehen. 

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